Cloud-Migration: Strategien für die Legacy-Modernisierung
Bastian Fischer /
10.10.25 /
Digitale Transformation
Einleitung
Die Cloud-Migration hat sich von einer strategischen Option zu einer absolut geschäftskritischen Notwendigkeit entwickelt. Schon heute haben 52 % der Unternehmen die Mehrheit ihrer IT-Umgebungen in die Cloud verlagert, während 63 % davon ausgehen, dass Cloud-Umgebungen innerhalb von nur 18 Monaten den Großteil ihrer IT-Prozesse beherbergen werden.
Diese umfassende Recherche stützt sich auf aktuelle Studien von Gartner, Forrester und IDC sowie auf wertvolle Praxiserfahrungen führender Beratungsunternehmen wie McKinsey, Deloitte und Accenture. Sie soll IT-Entscheidern einen systematischen und vor allem umsetzbaren Ansatz für erfolgreiche Cloud-Transformationen an die Hand geben.
Die Zahlen sprechen für sich: Der globale Markt für Cloud-Migrations-Services wird bis 2028 voraussichtlich 505,85 Milliarden US-Dollar erreichen, mit einer jährlichen Wachstumsrate von beeindruckenden 21,3 %. Nucleus Research belegt zudem, dass Organisationen einen Nutzen von 3,86 US-Dollar für jeden in die Cloud-Migration investierten Dollar erzielen – eine bemerkenswerte Steigerung von 12,5 % seit 2021.
Angesichts dieser unumkehrbaren Entwicklung ist eine proaktive und strategisch fundierte Auseinandersetzung mit der Cloud-Migration für jedes Unternehmen unerlässlich. Es geht nicht nur darum, technologisch Schritt zu halten, sondern nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu sichern. Für Entscheider ist ein fundiertes Verständnis der strategischen Optionen daher längst kein „Nice-to-have“ mehr, sondern eine Kernkompetenz, um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Die sieben Migrationsstrategien: Das bewährte 7-R-Framework
Dieses von Gartner populär gemachte Framework hat sich zu Recht als Industriestandard etabliert, da es eine klare und umfassende Systematik für Migrationsentscheidungen bietet. Was hier besonders wichtig ist: Die einzelnen „R“-Strategien sollten Sie nicht als isolierte Optionen verstehen, sondern vielmehr als ein Spektrum von Ansätzen, die je nach Anwendungsfall und Geschäftsziel clever kombiniert werden können.
Rehost (Lift-and-Shift): Der schnelle Einstieg
Lift-and-Shift bleibt die am häufigsten eingesetzte Migrationsstrategie für große Legacy-Umgebungen. Hierbei werden Anwendungen ohne Architekturänderungen direkt in die Cloud verschoben, wobei Tools wie AWS MGN, Azure Migrate oder Google Cloud Migrate die VM-Migration stark automatisieren.
Einsatzgebiete und Vorteile:
- Schnellste Migrationszeit (Wochen statt Monate)
- Minimale Geschäftsunterbrechung und geringste Vorlaufkosten
- Sofortige Cloud-Vorteile ohne komplexe Neuarchitekturierung
- Ideal für zeitkritische Migrations-Deadlines und End-of-Life-Systeme
Technische Umsetzung: Direct-VM-Migration mit Beibehaltung der bestehenden Anwendungsstack-Konfigurationen. Ein bekanntes Beispiel ist Netflix, das diesen Ansatz erfolgreich für die initiale AWS-Migration nutzte, bevor später Cloud-native Optimierungen folgten.
Replatform (Lift-Tinker-and-Shift): Gezielte Optimierung
Diese Strategie kombiniert geschickt die Geschwindigkeit der Migration mit strategischen Cloud-Optimierungen. Managed Services ersetzen selbstverwaltete Komponenten – denken Sie beispielsweise an den Wechsel von selbstgehosteten MySQL-Datenbanken zu Amazon RDS oder die Implementierung von Cloud-nativen Load Balancern.
Praxisbeispiel: Unternehmen erzielen typischerweise 30–40 % Performance-Verbesserungen, indem sie traditionelle Infrastruktur-Komponenten gegen Cloud-Managed Services austauschen, ohne dabei die Kernapplikation verändern zu müssen.
Refactor/Re-architect: Maximale Cloud-Optimierung
Hier schöpfen Sie das volle Potenzial der Cloud aus. Eine Cloud-native Neuarchitekturierung ermöglicht die vollständige Ausschöpfung von Cloud-Vorteilen durch Microservices-Architekturen, Serverless-Komponenten und Event-driven Designs. Die Container-Orchestrierung mit Kubernetes wird hier zum Standard – bis Ende 2025 werden voraussichtlich 75 % der Organisationen Container nutzen.
Moderne Architektur-Patterns 2024/2025:
- Serverless-first-Entwicklung für event-getriebene Workloads
- API-first-Design mit standardisierten Schnittstellen
- Infrastructure as Code (IaC) für reproduzierbare Deployments
- CI/CD-Integration für kontinuierliche Bereitstellung
Repurchase (Drop-and-Shop): Migration zu SaaS-Lösungen
Manchmal ist der beste Weg, Altes einfach loszulassen. Der Wechsel zu Software-as-a-Service ersetzt Legacy-Anwendungen durch moderne, Cloud-basierte Alternativen. Diese Strategie eliminiert den Wartungsaufwand und lässt Sie von den kontinuierlichen Innovationen der SaaS-Anbieter profitieren.
Typische Anwendungsfälle:
- Migration von On-Premises-CRM zu Salesforce oder HubSpot
- Wechsel von Exchange Server zu Microsoft 365
- Ersatz selbstgehosteter HR-Systeme durch Workday oder SAP SuccessFactors
- ERP-Migration zu Cloud-basierten Lösungen wie NetSuite
Vorteile: Sofortige Modernisierung, keine Infrastrukturverwaltung, automatische Updates und Skalierung. Herausforderung: Eine Herausforderung, die man im Blick haben sollte, ist die Datenmigration und die Anpassung der Prozesse an standardisierte SaaS-Workflows.
Relocate (Hypervisor-Level Move): VMware-Migration
VMware Cloud on AWS und ähnliche Lösungen ermöglichen die Verschiebung virtueller Maschinen auf Hypervisor-Ebene, ganz ohne Modifikationen am Betriebssystem. Diese Strategie ist ideal für Unternehmen, die bereits stark in VMware investiert haben.
Technische Details:
- Live-Migration mit vMotion für minimale Downtime
- Beibehaltung bestehender vSphere-Management-Tools
- Hybrid-Cloud-Konnektivität mit On-Premises-Umgebungen
- Disaster Recovery und Business Continuity durch Cloud-Infrastruktur
Einsatzszenarien: Rechenzentrumskonsolidierung, geografische Expansion oder temporäre Kapazitätserweiterungen.
Retain (Revisit Later): Strategisches Beibehalten
Manchmal ist es dagegen die beste Entscheidung, vorerst bewusst nichts zu tun. Dies gilt für Systeme, die aus technischen, regulatorischen oder geschäftlichen Gründen on-premises verbleiben müssen. Typischerweise fallen 15–20 % der Enterprise-Workloads in diese Kategorie.
Retain-Kriterien:
- Mainframe-Systeme mit prohibitiven Migrationskosten
- Latenz-kritische Anwendungen mit Millisekunden-Anforderungen
- Regulatorische Einschränkungen (Datenresidenz, Compliance)
- Kürzlich modernisierte Systeme mit hohem ROI
- Legacy-Anwendungen kurz vor End-of-Life
Best Practice: Eine gute Praxis, die ich Ihnen ans Herz legen möchte, ist die regelmäßige Neubewertung (etwa quartalsweise) der Retain-Entscheidungen, da sich technische und geschäftliche Rahmenbedingungen schnell ändern können.
Retire: Eliminierung redundanter Systeme
Hier liegt eine oft übersehene Chance: 10–20 % der IT-Portfolios sind typischerweise Kandidaten für eine Stilllegung. Diese "Application Rationalization" reduziert Komplexität und Kosten, indem sie redundante, veraltete oder ungenutzte Systeme eliminiert.
Identifikationskriterien:
- Systeme mit < 5 % Nutzungsrate
- Redundante Anwendungen nach Fusionen/Akquisitionen
- End-of-Life-Software ohne geschäftskritische Funktionen
- Test- und Entwicklungsumgebungen ohne aktive Projekte
Retire-Prozess: Datenarchivierung gemäß Compliance-Anforderungen, klare Nutzer-Kommunikation, eine schrittweise Abschaltung mit Rollback-Option sowie die Dekommissionierung von Lizenzen und Infrastruktur.
Hauptherausforderungen und Risikomanagement
Technische Herausforderungen in der Praxis
In der Praxis zeigt sich immer wieder: Kompatibilitäts- und Integrationsprobleme dominieren die technischen Hürden. Legacy-Systeme mit monolithischen Architekturen und eng gekoppelten Abhängigkeiten erschweren den Übergang in die Cloud erheblich. Es ist alarmierend, dass 74 % der Organisationen laut Fortinet-Forschung bereits Anwendungen aus der Cloud zurückmigriert haben – das unterstreicht, wie kritisch eine sorgfältige Planung ist.
Auch die Netzwerk-Performance und Latenz stellen besondere Herausforderungen für echtzeitkritische Anwendungen dar. Die Abhängigkeit von Cloud-Services von der Netzwerkleistung schafft gerade in den Migrationsphasen potenzielle Schwachstellen.
Organisatorische Transformationsbarrieren
Skills-Gap-Krise: Die vielleicht größte Hürde ist eine menschliche. 96 % der Organisationen äußern Bedenken bezüglich ihrer Fähigkeit, Cloud-Risiken effektiv zu managen. Traditionellen IT-Teams fehlt häufig die cloud-spezifische Expertise in Bereichen wie Container-Orchestrierung, Serverless Computing und Cloud-native Security.
Change-Management: Vergessen wir nicht den Faktor Mensch. Widerstand gegen Veränderungen gilt als primärer Grund für das Scheitern von Cloud-Migrationen in Unternehmen. Ängste vor Arbeitsplatzverlust und neuen Rollen erzeugen interne Reibungen, die den Erfolg gefährden können.
Aktuelle Sicherheitslage 2024/2025
Cloud-Security-Vorfälle sind in 2024 um 35 % gestiegen.
Die Hauptursachen umfassen:
- Fehlkonfigurierte Storage-Systeme (41 %)
- Kompromittierte Zugangsdaten (33 %)
- Phishing-Attacken (26 %)
Die durchschnittlichen Kosten eines Sicherheitsvorfalls erreichten 5,1 Millionen US-Dollar, mit einem Anstieg der Cloud-Security-Incidents um 154 % gegenüber dem Vorjahr.
Strategien zum Risikomanagement
Wie begegnet man diesen Herausforderungen also wirksam? Ein proaktives Risikomanagement ist hier der Schlüssel. Erfolgreiche Organisationen setzen dabei auf einen mehrschichtigen Ansatz:
- Technische Risikominimierung: Führen Sie Pilotprojekte und Proof of Concepts (PoCs) für kritische Workloads durch, um Kompatibilität und Performance vor der vollständigen Migration zu validieren. Eine phasenweise Migration, beginnend mit weniger kritischen Anwendungen, reduziert das Gesamtrisiko und schafft wertvolle Lerneffekte.
- Organisatorische Befähigung: Bauen Sie ein „Cloud Center of Excellence“ (CCoE) als zentrale Anlaufstelle für Best Practices, Governance und Wissensvermittlung auf. Gezielte Investitionen in Schulungen und Zertifizierungen schließen den Skills-Gap, während ein transparentes Change-Management-Programm die Mitarbeiter aktiv in den Transformationsprozess einbindet und Widerstände abbaut.
- Ganzheitliche Sicherheits-Governance: Implementieren Sie ein „Shared Responsibility“-Modell, das die Verantwortlichkeiten zwischen Cloud-Anbieter und Unternehmen klar definiert. Automatisierte Security-Tools (DevSecOps), kontinuierliches Monitoring und regelmäßige Audits stellen sicher, dass Sicherheitsrichtlinien konsequent eingehalten und Fehlkonfigurationen frühzeitig erkannt werden.
Häufige Fehler und Vermeidungsstrategien
Migration Antipatterns
Ein Fehler, den wir in der Praxis immer wieder sehen, ist das reine Lift-and-Shift ohne anschließende Optimierung. Organisationen versäumen es so, Cloud-native Fähigkeiten zu nutzen und behalten fälschlicherweise ihre alten On-Premises-Betriebsmodelle bei.
Eine unzureichende Planung manifestiert sich oft in überstürzten Migrationen ohne eine umfassende Business-Case-Entwicklung und ein klares Dependency-Mapping. Die Tatsache, dass 74 % der Organisationen bereits Anwendungen aus der Cloud zurückmigriert haben, ist hier ein deutliches Warnsignal.
Typische Projektfehlschläge
Budgetüberschreitungen entstehen häufig durch eine Unterschätzung der Gesamtbetriebskosten und versteckte Gebühren. Studien zeigen, dass rund 30 % der Cloud-Ausgaben durch schlechtes Management verschwendet werden.
Ein Vendor-Lock-in resultiert aus einer übermäßigen Abhängigkeit von den Services eines einzelnen Cloud-Providers, ohne dass eine Exit-Strategie geplant wurde.
Vermeidungsstrategien
Doch wie lassen sich diese Fallstricke umgehen? Um eine erfolgreiche Migration sicherzustellen, haben sich die folgenden strategischen Ansätze in der Praxis bewährt:
- Umfassende Migrations-Roadmaps mit klaren Erfolgsmetriken entwickeln
- Robuste Test- und Validierungsverfahren implementieren
- Umfassende Monitoring- und Alerting-Systeme etablieren
- In das Training und die Skill-Entwicklung des Teams investieren
- Erfahrene Cloud-Provider und Berater als Partner einbinden
Fazit und Ausblick
Die Cloud-Migration hat einen Reifepunkt erreicht, an dem Organisationen über die grundlegende Migration hinausdenken und zu anspruchsvolleren, KI-getriebenen und nachhaltigen Ansätzen übergehen müssen. Die Konvergenz von Künstlicher Intelligenz, Edge Computing, Nachhaltigkeitsanforderungen und regulatorischem Druck schafft sowohl enorme Chancen als auch neue Herausforderungen, die die Wettbewerbsvorteile in der digitalen Wirtschaft von morgen definieren werden.
Organisationen, die diesen Trends proaktiv begegnen – insbesondere durch KI-gestützte Automatisierung, durchdachte Multi-Cloud-Strategien, Edge-Integration und Nachhaltigkeitspraktiken – werden bestens positioniert sein, um in einem zunehmend komplexen Cloud-Ökosystem erfolgreich zu sein. Der Erfolg der Transformation hängt von einer strategischen KI/ML-Integration, ausbalancierten Multi-Cloud-Ansätzen, proaktiver Nachhaltigkeits- und Compliance-Integration sowie von Investitionen in die nächste Generation der Automatisierung ab.
Die Zukunft gehört jenen, die nicht nur ihre Technologie migrieren, sondern ihren gesamten Ansatz zur Cloud-Strategie transformieren können.
Quellenverzeichnis