Wirkungsvolle Agilität mit Scrum – Selbstmanagement

Jacob Brügmann  /  26.09.23  /  Digitale Transformation

 

Selbstmanagement im Kontext des Scrum Teams

In vielen Unternehmen und Projekten werden Teams durch Manager:innen (Führungskraft bzw. Projektmanager:in) geführt. Die Teammitglieder sind es gewohnt, für die Ausführung der Aufgaben und nicht für den gesamten Prozess verantwortlich zu sein.

Im Scrum Guide heißt es, dass das Team den Wert eines Produktes (z. B. der Software) steigern soll. Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, müssen sowohl alle erforderlichen Fähigkeiten als auch entsprechende Bevollmächtigungen für die Produktentwicklung vorhanden sein.

Unter dem Begriff Selbstmanagement im Kontext des Scrum Teams ist mehr als Effizienzsteigerung, durch z. B. Zeitmanagement, zu verstehen. Vielmehr ist es eine Antwort auf ein komplexes Umfeld, um in einem Team effizienter und effektiver Anforderungen sowie Lösungen zu entwickeln.

Agilität kann erst wirkungsvoll werden, wenn das Team in ein Selbstmanagement kommt. Aus meiner Erfahrung lassen sich fünf Handlungsfelder identifizieren, auf die ich im Artikel näher eingehen werde:

Handlungsfelder im Selbstmanagement

Bei der Etablierung eines Scrum Teams muss sich das Unternehmen die Frage stellen, was das für die Organisation bedeutet und wie eine Führungskraft bei der Veränderung zum Selbstmanagement unterstützen kann.

Rahmenbedingungen für Selbstmanagement

Grundlage für ein Gelingen ist, dass sowohl die Manager:innen als auch die Teammitglieder freiwillig bereit sind, an dem Vorhaben aktiv mitzuwirken und ihre Arbeitsweisen zu verändern.

Sobald der Bedarf für ein Scrum Team identifiziert wurde, sollte der Fokus auf der Gestaltung förderlicher Rahmenbedingungen für Selbstmanagement liegen und weniger auf Training oder Coaching der einzelnen Teammitglieder.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Etablierung sofort gelingt. Um eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, sollte regelmäßig der aktuelle Zustand überprüft und angepasst werden. Dieses Vorgehen ist bereits fester Bestandteil von Scrum, wobei sich die Retrospektive für dieses Thema anbietet.

Im Folgenden beschreibe ich die fünf Handlungsfelder für Selbstmanagement:

1. Sinn

Bevor eine Veränderung stattfinden kann, muss bei den Beteiligten ein Gefühl der Dringlichkeit gegeben sein. Dazu hilft es den Sinn und die angestrebte Wirkung der neuen Arbeitsweise explizit bewusst zu machen.

In vielen Unternehmen hat sich die Komplexität der Umwelt und Geschäftsmodelle in den letzten Jahren deutlich erhöht. Diese Entwicklung führt z. B. zu langsamen Entscheidungsprozessen, Überforderung der Führungskräfte und Überlastung der Mitarbeitenden.

Nur aus einer konkreten Problemstellung im vorliegenden Unternehmenskontext kann sich ein Gefühl der Dringlichkeit einer Veränderung entwickeln. Um dieses kontextbezogen herauszuarbeiten, können folgende Fragestellungen eine erste Orientierung geben:

  • Für welche Probleme ist Selbstmanagement die Lösung?
  • Was soll konkret anders werden durch Selbstmanagement?
  • Wie lange und warum bestehen die Probleme?

2. Unternehmenskultur

Ein weiterer Aspekt für eine erfolgreiche Etablierung ist eine förderliche Unternehmenskultur, wobei vor allem der Umgang mit Fehlern und das Menschenbild[1] wesentliche Faktoren sind.

In einem hierarchisch organisierten Unternehmen wird häufig durch Anweisung und Kontrolle geführt. In dem Fall besteht die Annahme, dass Mitarbeitende geführt und mit besonderen Anreizen motiviert werden müssen. Da Glaubenssätze das Verhalten bestimmen, ist es notwendig, neue Annahmen durch positive Erfahrungen zu etablieren. Die Grundlage für Scrum Teams ist das Vertrauen der Organisation darin, dass Menschen sich selbst führen können sowie von sich aus motiviert und leistungsbereit sind.

In einem komplexen Umfeld werden Entscheidungen zur Problemlösung unter Unsicherheit getroffen, da es keine klare Ursache-Wirkung-Beziehung gibt. Deswegen ist eine Fehlerkultur notwendig, die einen konstruktiven Umgang von Fehleinschätzungen wertschätzt. Dafür bietet Scrum mit dem Sprint Review ein Event, dass das geschaffene Produktinkrement überprüft, künftige Anpassungen ableitet und folglich die wirtschaftlichen Folgen drastisch reduzieren kann. Zudem unterstützt die sogenannte Retrospektive die kontinuierliche Verbesserung, indem das Team überprüft, wie es seine Arbeit organisiert und was optimiert werden kann.

3. Gemeinsames Produktziel

Das Selbstmanagement kann nur gelingen, wenn ein Team weiß, was das Ziel seiner Arbeit sein soll. Unklarheiten führen zu Nachfragen, Debatten und permanent neuen Verhandlungen, worauf der Fokus in der Produktentwicklung gelegt werden soll.

Der Scrum Guide beschreibt aus diesem Grund ein Produktziel, das ein langfristiges Ziel darstellt und den zukünftigen Zustand des Produkts beschreibt. Aus diesem Ziel lässt sich die zu verrichtende Arbeit ableiten, priorisieren und ein kurzfristiges Ziel erarbeiten.

Die Ausrichtung des Produktziels wird in der Regel durch Vision, Strategie und Ziele des Unternehmens beeinflusst. Wichtig ist, dass es erreichbar sowie messbar ist und ein Erreichen das Produkt entscheidend voranbringt. Der Fortschritt und die Attraktivität sollten regelmäßig überprüft und bei Bedarf kann das Ziel angepasst werden.

4. Interdisziplinäres Team

Das Scrum Team besteht aus einem Product Owner, einem Scrum Master sowie den Entwicklern und hat die Ergebnisverantwortung, jeden Sprint ein wertvolles Inkrement für das Produkt zu entwickeln. Im komplexen Umfeld der Softwareentwicklung ist ein interdisziplinäres Team notwendig, das alle Fähigkeiten von der Idee bis zum fertigen, implementierten Feature repräsentiert.

Bei Softwareprodukten finden sich für die Entwickler Spezialgebiete, wie z. B.

  • Testen
  • Architektur
  • Frontend
  • Backend
  • Datenbanken
  • UX/UI

Um die kontinuierliche Lieferfähigkeit wertvoller Softwareinkremente sicherzustellen, muss beispielsweise ein UX/UI-Spezialist im Bereich des Testens oder ein Frontend-Spezialist im Bereich Backend Fähigkeiten aufbauen. Wobei das nicht bedeutet, dass jedes Teammitglied Spezialist für mehrere Themen sein muss oder gar jedes Mitglied alle Aufgaben (gleich gut) lösen können muss.

Möglicherweise startet das Team anfänglich mit einer größeren Anzahl an Spezialisten. Im Zeitverlauf der Zusammenarbeit wächst das Verständnis, was andere Teammitglieder machen und die Möglichkeit, im Bedarfsfall den Kollegen zu unterstützen oder sogar zu vertreten.

5. Verantwortlichkeiten

Es ist ein Missverständnis, dass das Management bei Selbstmanagement keine Verantwortlichkeiten mehr hat. Jedoch sind eine gezielte Abgabe von Prozessverantwortung und eine Unterstützung bei der Etablierung notwendig, um Selbstmanagement zu ermöglichen. Erst dadurch ergeben sich für das Team größere Freiräume bei der Gestaltung ihrer Arbeit, um z. B. ihren Fortschritt selbst überwachen und bewerten zu können.

In der Regel wissen die Beteiligten zunächst nicht, wer in Zukunft für welche Aufgaben verantwortlich ist. Durch einen gesetzten Rahmen erhalten das Scrum Team und die Manager:innen die nötige Sicherheit, Orientierung und Klarheit. Bei der kontextbezogenen Ausgestaltung des Selbstmanagements bieten Richard Hackmans Autoritätsmatrix[2] und der Scrum-Rahmen[3] Unterstützung.

Bei einer Klärung der Verantwortlichkeiten sollte explizit herausgearbeitet werden, welche Aufgaben die Manager:innen an das Team delegieren. Das Ergebnis bedeutet auch, dass die Teammitglieder Entscheidungen treffen dürfen, die ihrer Meinung nach richtig sind und nicht so ausfallen, wie es die Führungskraft gemacht hätte. Wichtig ist dabei stets die Ausgestaltung des Rahmens und die Geschwindigkeit der Veränderung gemeinsam zu entwickeln. Die Manager:innen sollten jedoch die Teammitglieder ermutigen, sich in neue Freiräume zu begeben, um Erfahrungen zu sammeln und Fähigkeiten aufzubauen.

In Kürze zu dem Hintergrund des Themas

Selbstmanagement kann bei Scrum Teams zu einer effektiveren Zusammenarbeit, höheren Motivation und besseren Ergebnissen bei der Produktentwicklung führen. Ein wesentlicher Aspekt dieses zu erreichen ist die Arbeit an den organisationalen Rahmenbedingungen, auf die ich meinen Fokus in diesem Artikel setze.

Ein begleitendes Training und Coaching der Teammitglieder sowie Manager:innen bietet die Möglichkeit, beim Entwickeln und Leben der Verantwortlichkeiten zu unterstützen. Dazu zählen beispielsweise Schulungen, Mentoring und regelmäßige Feedbackgespräche.

Ich bedanke mich bei Armin Schubert, Alexander Stein, Ralf Kruse, Sabrina Spiegel, Silke Heerwagen, Daniel Hommel, Bernd Joussen, Marc Löffler, Rolf Cerff, Carolin Otto, Jan Prause und Frank Leuderalbert für eure Perspektiven sowie den Austausch zu dem Thema.

Mit Sicherheit gibt es noch weitere Möglichkeiten, Selbstmanagement zu gestalten, oder eine andere Sicht auf das Thema. Ich freue mich auf eine Diskussion, um meine Perspektiven zu erweitern und weiter zu lernen.

 

[1] https://digitaleneuordnung.de/blog/xy-theorie/

[2] https://www.agile-academy.com/de/agiles-lexikon/hackman-autoritaetsmatrix/

[3] https://scrumguides.org/docs/scrumguide/v2020/2020-Scrum-Guide-German.pdf