Wirkungsvolle Agilität mit Scrum – Unternehmenskultur

Jacob Brügmann  /  13.04.23  /  Digitale Transformation

 

Unternehmenskultur beeinflusst wirkungsvolle Agilität

Die Kultur eines Unternehmens wird im beobachtbaren Verhalten der Mitarbeitenden sichtbar, das auf Werten und Glaubenssätzen basiert.

Der Kern von Agilität ist ein empirischer Ansatz zum Erkunden von Lösungen in einem komplexen Umfeld. Dazu ist eine regelmäßige Überprüfung des Plans mit einer anschließenden Anpassung notwendig. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zur Kultur vieler Unternehmen. Eine konsequente Durchführung geplanter Phasen, die eine lineare Ursache-Wirkung voraussetzen, ist weit verbreitet. Aus dieser Erkenntnis heraus lässt sich ein Veränderungsbedarf für viele Unternehmen identifizieren.

Für eine wirkungsvolle Agilität mit Scrum ist eine Unternehmenskultur notwendig, die agiles Arbeiten und Denken unterstützt. Jedoch bedeutet das nicht, dass erst eine neue unternehmensweite Kultur geschaffen werden muss, bevor mit agilen Praktiken wie Scrum begonnen werden kann.

Im ersten Schritt ist es empfehlenswert in einem einzelnen Projekt oder Team zu starten. Dort kann bereits agil gearbeitet und gedacht werden, ohne die Kultur des gesamten Unternehmens verändern zu müssen. Grundlage ist die Bereitschaft und die Fähigkeit des Unternehmens, bei der Etablierung einer neuen Teamkultur nicht zu stören, sondern vielmehr bei Bedarf zu unterstützen.

Der Scrum Guide[1] bietet fünf Werte, die bei der Etablierung eine Orientierung bieten. Ebenfalls unterstützen auch die Ideen und Prinzipien des Manifests für Agile Softwareentwicklung[2] beim agilen Arbeiten und Denken.

Die fünf Werte des Scrum Guides

Werte sind Grundannahmen darüber, was als richtig und was als falsch verstanden wird. Sie können bewusst oder unbewusst sein und dienen den Menschen als Entscheidungsprämisse bei der Wahl zwischen verschiedenen Verhaltensalternativen.

Für gemeinsame und möglichst konsistente Entscheidungsprämissen innerhalb eines Projekts oder Teams enthält der Scrum Guide ein eigenes Wertesystem. In seinem Buch „30 Minuten Scrum“ hat Dr. Jürgen Hoffmann diese Werte näher beschrieben:

  1. Offenheit: Alle Informationen und Herausforderungen rund um die Arbeit des Scrum Teams werden zwischen diesem und den Stakeholdern in aller Transparenz bearbeitet.
  2. Fokus: Das Sprint-Ziel und die Arbeit im Sprint liegen im täglichen Fokus des Scrum Teams.
  3. Commitment: Die persönliche Verpflichtung auf die Ziele des Scrum Teams bestimmt das Handeln des Einzelnen.
  4. Respekt: Der Umgang miteinander und mit Stakeholdern ist von gegenseitigem Respekt als fähige und eigenverantwortliche Menschen geprägt.
  5. Mut: Das Scrum Team hat den Mut, schwierige Probleme anzupacken und dann das Richtige zu tun.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Werte nicht verordnet werden können. Deswegen sollte im Team geklärt werden, warum es sinnvoll ist, sich an den Scrum-Werten zu orientieren. Bei der Klärung können folgende Fragen unterstützen:

      • Warum ist es wichtig, die Scrum-Werte zu leben?
      • Was würde passieren, wenn die Scrum-Werte nicht gelebt werden?

Ein wesentlicher Aspekt ist, dass sich das Team in einem komplexen Umfeld bewegt. Viele Menschen sind es bisher gewohnt, in einer linearen Ursache-Wirkung zu denken und zur Problemlösung einen starren Plan ausarbeiten zu können.

Das agile Vorgehen entspricht jedoch einem kontinuierlichen Inspizieren und Adaptieren, da wir nicht voraussehen können, ob wir die richtigen Lösungen zum Problem entwickeln.

Die Scrum-Werte sind hilfreich für einen kulturellen Wandel und für eine erfolgreiche Anwendung von Scrum. Im komplexen Umfeld benötigt das Team Mut, neue Dinge auszuprobieren. Für eine wirkungsvolle Agilität bedarf es zudem der Offenheit, den gemeinsamen Arbeitsfortschritt transparent zu machen und regelmäßig ein Feedback zur Lösung (z. B. im Sprint Review) zu erhalten, um den Plan anpassen zu können.

Die zwölf agilen Prinzipien

Scrum ist, wie alle agilen Prozesse, gleichzeitig iterativ und inkrementell. Dieses Vorgehen wird auch in den sogenannten agilen Prinzipien berücksichtigt:

„Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufrieden zu stellen.“

Bei Missachtung dieses Prinzips besteht das Risiko, lediglich den Output (erzielte Resultate, z. B. Anzahl Story Points) zu erhöhen und den Outcome (Wirkung des Outputs, z. B. Sprint-Ziel) zu vernachlässigen. Es ist möglich, viel Output zu erzeugen, ohne einen Mehrwert für den Kunden zu liefern. Deswegen sollte der Fokus auf die wirkungsvollsten Ergebnisse (Outcome) gesetzt werden. Auch dazu lässt sich ein agiles Prinzip finden:

„Einfachheit - die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren - ist essenziell.“

Neben dem Sprint-Ziel hilft auch die Produkt-Vision durch eine entsprechende Priorisierung des Product Backlogs bei der Fokussierung. Innerhalb des Sprint Reviews kann geprüft werden, ob die Ergebnisse wirkungsvoll für die Stakeholder sind. Bei Bedarf erfolgt eine Anpassung.

Insgesamt gibt es zwölf agile Prinzipien, die sich alle auf die Scrum-Werte beziehen und mögliche Folgen eines Missachtens ableiten.

Teamkultur empirisch gestalten

Da eine Veränderung der Teamkultur komplex ist, hilft ein empirischer Ansatz. Dieser befindet sich in ähnlicher Form im Buch „Die Scrum Master Journey“ von Marc Löffler und basiert auf Glaubenssätzen, Verhalten und Erfahrung.

  1. Verhalten reflektieren:

    Aus der Reflexion sollte ein Verhalten identifiziert werden, das die Teammitglieder gerne verändern möchten. 

      • Bei welchem Scrum-Wert gelingt es schon sehr gut, diesen im Alltag zu leben? Woran merken es die Teammitglieder?
      • Bei welchem Scrum-Wert fällt es immer wieder schwer, diesen im Alltag zu leben? Woran merken es die Teammitglieder?
        z. B. Entwickler:innen werden regelmäßig bei ihrer Arbeit am Sprint Backlog durch Kontextwechsel unterbrochen und erreichen wiederholt nicht das Sprint-Ziel. (Scrum-Wert „Fokus“ ist beeinträchtigt)
  2. Bestehende Glaubenssätze identifizieren:

    Im nächsten Schritt geht es darum, die Glaubenssätze, die hinter diesem beobachteten Verhalten stehen, zu identifizieren. In dem vorliegenden Beispiel kann es sein, dass ein Entwickler eines IT-Dienstleisters denkt, auf alle Kundenanfragen sofort reagieren zu müssen.

    Zudem sollte geklärt werden, auf welchen Annahmen dieser Glaubenssatz beruht. Die Annahme könnte z. B. sein, dass die Kundenzufriedenheit sinkt, sollte sich der Entwickler nicht sofort melden, oder dass die Kundenanfragen immer wichtig und dringend sind, was nicht immer der Fall sein muss.

  3. Neue Glaubenssätze entwickeln:

    Das Team entwickelt in diesem Schritt neue Glaubenssätze, die das Verhalten ändern sollen.

    So lässt sich beispielsweise der identifizierte Glaubenssatz dahingehend verändern, dass fokussiertes Arbeiten als Entwickler für eine hohe Kundenzufriedenheit notwendig ist.

    Bei der Erarbeitung von neuen Glaubenssätzen geht es um Experimente, die innerhalb der Iteration verprobt werden. Wir können nicht voraussehen, ob wir erfolgreich sind. Auch negative Ergebnisse sind valide Erkenntnisse der Experimente.

  4. Erfahrungen machen:

    Die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöht sich durch die Überlegung, welche positiven Erfahrungen das Team machen müsste, damit sich dieser Glaubenssatz festigen kann und welches Verhalten notwendig ist, um diese Erfahrung tatsächlich zu machen.

Empirischer Ansatz zur Veränderung der Teamkultur

Innerhalb der Iteration wird beobachtet, ob die Maßnahmen den gewünschten Effekt haben. Auf Basis der neuen Beobachtungen werden die Verhaltensweisen sowie Glaubenssätze reflektiert und bei Bedarf angepasst.

Es ist davon auszugehen, dass die Teamkultur über mehrere Iterationen empirisch gestaltet werden muss. Eine Veränderung ist nicht einfach und in den meisten Fällen ein langwieriger Prozess.

In Kürze zu dem Hintergrund des Themas

Ken Schwaber, einer der Entwickler des Scrum Frameworks, ist davon überzeugt, dass dieses Werkzeug die Art und Weise, wie gedacht und gearbeitet wird, völlig verändert.[3]

Lediglich die Scrum-Events und -Rollen zu übernehmen, ohne die angestrebte Wirkung zu hinterfragen, ist jedoch nicht zu empfehlen. Dabei hilft die Auftragsklärung mit dem Kunden.

Zudem sollte die aktuelle Kultur des Unternehmens berücksichtigt und aktiv gestaltet werden. Denn die agile Arbeitsweise bedeutet häufig eine umfassende Veränderung zahlreicher bisheriger Verhaltensweisen, Werte und Glaubenssätze. Geschieht keine Auftragsklärung und Kulturgestaltung, werden agile Praktiken lediglich imitiert und es kann sich keine wirkungsvolle Agilität entwickeln. Dieses kann zur Demotivation im Team führen und zu einer negativen Belegung der Begriffe „Scrum“ oder „agil“, da Hoffnungen auf eine Problemlösung enttäuscht werden.

Ich bedanke mich bei Stefan Roock, Armin Schubert, Dr. Jürgen Hoffmann (“Mentos”), Marc Löffler, Olaf Hinz, Holger Koschek, Cordula Schuchardt, Kai Simons, Andrea Egli, Stefan Post, Dominik Guder und Konstantin Schulz für eure Perspektiven sowie den Austausch zu dem Thema.

Mit Sicherheit gibt es noch weitere Möglichkeiten, Kultur aktiv zu gestalten, oder eine andere Sicht auf das Thema. Ich freue mich auf eine Diskussion, um meine Perspektiven zu erweitern und weiter zu lernen.


[1] https://scrumguides.org/docs/scrumguide/v2020/2020-Scrum-Guide-German.pdf

[2] https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html

[3] https://www.cio.de/a/warum-scrum-einfuehrungen-scheitern,2255043